Journalismus fürs Handy

Im neuen Newsroom ist er am liebsten: Sascha Aurich vor der zentralen Multimediawand, die als Informationsquelle und für Redaktions-Videokonferenzen genutzt wird. Foto: Uwe Mann

Wie kann regionaler Journalismus auch digital erfolgreich sein? David Hagenbäumer hat darüber mit dem stellvertretenden Chefredakteur Sascha Aurich gesprochen, der zuständig fürs Digitale ist und die Herausforderungen in einer Redaktion im Wandel kennt.

Die Digitalisierung hat auch in den Medien viele Gewissheiten und Sicherheiten abgeräumt. Empfinden alle Kolleginnen und Kollegen "25 Jahre" freiepresse.de als einen Grund zur Freude?
Sascha Aurich: Früher war dieser Beruf sicher weniger komplex. Manche haben das wahrscheinlich als einfacher, entspannter, vielleicht auch als bequemer empfunden. Aber wirklich guter Journalismus war schon immer anstrengend und herausfordernd, leicht war es noch nie. Aber früher musste man sich weniger Gedanken darüber machen, ob das was man da schreibt, auch gelesen wird. Heute ist die mediale Vielfalt deutlich größer, Informationen sind leichter zugänglich. Die Leserinnen und Leser können sich das herauspicken, was Sie interessiert. Und wenn sie bei uns nicht finden, was sie interessiert, dann haben wir das Problem, nicht unsere Leser. Wenn zum Beispiel viele Menschen wissen wollen, wie das neue Restaurant in ihrer Stadt von innen aussieht, dann ist das ihr gutes Recht. Das heißt ja nicht, dass wir unsere journalistischen Prinzipien über Bord werfen, oder das, was wir für wichtig halten, nicht mehr machen. Die Herausforderung ist, das in Einklang zu bringen, diese Vielfalt der Themen und den qualitativen Anspruch, den die Leser völlig zu Recht an uns haben

Warum feiern wir eigentlich 25 Jahre "freiepresse.de" getrennt von 75 Jahre "Freie Presse"?
Sascha Aurich: Interessante Frage. Die nur von einem Redakteur kommen kann, für den Online-Journalismus das Selbstverständlichste der Welt ist. Aber wir tun das, weil die digitale Entwicklung, dieser ganze Kosmos, einschneidende Veränderungen für alle Lebensbereiche und damit natürlich auch für den Journalismus und Medienhäuser bedeutet. Deshalb ist es wichtig, darauf noch einmal einen speziellen Blick zu richten. Aber weil wir ja guten Journalismus machen wollen, egal in welcher Form er sich ausdrückt, werden wir ein Jubiläum bestimmt zum letzten Mal getrennt feiern. Soweit lehne ich mich aus dem Fenster.

Früher gab es die gedruckte Zeitung. Punkt. Und heute haben wir dazu ein Früh-E-Paper, Social-Media-Kanäle, Newsletter, Video-Interviews und Podcasts. Wir versorgen die Menschen im Grunde rund um die Uhr mit Informationen. Wie hält man da die "Freie Presse"-Qualität?
Sascha Aurich: Das ist eine der größten Herausforderungen. Jahrzehntelang gab es einen festen, wenig veränderten Arbeitsablauf. Alles hat sich am Print- Redaktionsschluss orientiert, fertig. Das ist vorbei. Wir versuchen, mit angepassten Strukturen und Arbeitsabläufen, trotzdem niemanden zu überfordern. Denn Schnelligkeit darf nicht zu Schludrigkeit und Vielfalt nicht zu mangelnder inhaltlicher Tiefe führen. Für ein großes, regionales Medienhaus ist das eine komplexe Aufgabe, auf jedem Kanal jeden Nutzer so abzuholen, dass er zufrieden ist. Allein handwerklich betrachtet gibt es zum Beispiel einen großen Unterschied zwischen einer gut geschriebenen, kompakten Nachricht wie wir sie jetzt vermehrt für unser Online-Angebot brauchen und der langen, anspruchsvollen Reportage, die wir etwa auf Seite 3 drucken. Nicht jeder kann alles. Das gilt es zu berücksichtigen. Wir befinden uns insgesamt, wie viele andere Redaktionen, immer noch in einem Lernprozess.

Durch das Internet kommen die Rückmeldungen auf unsere Arbeit deutlich direkter. Der Leser ist jetzt viel näher dran an Produkt und Redaktion, wenn er das möchte. Was macht das mit einer Redaktion?
Sascha Aurich: Grundsätzlich interessiert das die Kolleginnen und Kollegen sehr, wie ihre Arbeit wahrgenommen wird. Das war auch schon so bevor es das Internet gab. Zu wissen, dass man gelesen wird, ist motivierend. Man muss aber unterscheiden zwischen den zahlreichen Formen der Rückmeldung. Bekomme ich eine höfliche, lobende E-Mail oder werde ich in einem sozialen Netzwerk als Lügenpresse-Vertreter angepöbelt? Empfiehlt jemand bei Twitter meinen Beitrag oder werde ich in einer Telegram-Gruppe angefeindet? Das sind völlig verschiedene Erfahrungen, mit denen man umgehen muss. Aber grundsätzlich ist Offenheit, Transparenz und Nahbarkeit natürlich eine große Chance für uns. Der Austausch mit unseren Leserinnen und Lesern ist enorm wertvoll und wichtig. Aber wir müssen unsere Redaktion auch schützen. Deshalb haben wir zum Beispiel die Kommentarfunktion auf der Webseite eingeschränkt. Weil das Aufkommen generell und die Anzahl der beleidigenden, grenzverletzenden Kommentare zu hoch waren und zu einer Belastung für unser Online-Team wurden.

Ist denn der Anspruch an unsere Arbeit mit der Digitalisierung gestiegen?
Sascha Aurich: Heute kann jeder mit ein bisschen Geschick ziemlich schnell Fakten überprüfen oder Fehler öffentlich machen. Aber den Druck, handwerklich sauber zu arbeiten, den haben wir uns schon vorher immer selbst gemacht, das war und ist seit jeher unser Anspruch. Und sollte ein gefühlter höherer Anspruch dazu führen, dass wir noch besser werden, können wir uns als Redaktion darüber ja nur freuen. Was auf jeden Fall passiert ist: Wir sind schneller und experimentierfreudiger geworden, weil sich die Welt um uns ja auch mit hoher Geschwindigkeit verändert.

Die "Freie Presse" bietet seit Ende 2019 ein Online-Abo an, die Mehrzahl der Artikel gibt es also auch im Netz nicht mehr kostenlos. Wie wird das von den Lesern aufgenommen?
Sascha Aurich: In der Branche ist einhellige Meinung, dass vieles viel zu lange kostenlos war. An dieses Gratislesen hatte man sich gewöhnt. Deshalb formulieren manche Nutzer immer noch den Anspruch, dass unsere Beiträge online weiter kostenlos sein sollten. Durch die Konsequenz, mit der die meisten Häuser, die Qualitätsjournalismus machen, zu einem Bezahlmodell übergegangen sind, setzt sich aber die Einsicht durch, dass für gute Inhalte eben bezahlt werden muss. Gemessen an der großen Anzahl an Nutzern, die wir auf unseren Seiten haben, gibt es nur noch selten Beschwerden. Wir machen auch faire Angebote. Unser Premium-Digitalabo kann man kostenlos vier Wochen lang testen.

Stichwort Zukunft: Ist denn die "Freie Presse" modern genug, um künftig auch wieder mehr jüngere Menschen abzuholen?
Sascha Aurich: Wir müssen schon noch aufholen. In den vergangenen Jahren haben wir uns zu wenig um die Frage gekümmert, wie wir die Lücke zwischen den Lesern der gedruckten Zeitung und denen schließen, die mit dem Smartphone und YouTube groß geworden sind. Inzwischen stecken wir da viel Energie rein und sind auf einem guten Weg, den wir entschlossen weitergehen. Am Ziel sind wir aber noch lange nicht, weil das eine komplexe Aufgabe ist. Frischere Inhalte sind die Grundvoraussetzung, aber der Stoff muss die Jungen dann ja auch dort erreichen wo sie sind. Und das in einer zeitgemäßen Form. Ich bin davon überzeugt, dass die "Freie Presse" schon bald anders rüberkommen wird. Moderner, frischer, digitaler. Gleichzeitig werden wir weiter eine ausgezeichnete gedruckte Zeitung machen, die nach wie vor von sehr vielen Lesern geschätzt wird.

Was macht dich mit Blick auf die Zukunft so zuversichtlich?
Sascha Aurich: Wir haben nie unser Handwerk vernachlässigt, die Basis unserer Arbeit. Wir machen guten Journalismus, dieser Kern war immer da. Das kommt uns jetzt zugute, wenn es darum geht, mehr jüngere Menschen mit gut gemachtem Journalismus und den entsprechenden Produkten zu erreichen und dann auch von uns zu überzeugen.

Was müssen Journalisten heute mitbringen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein?
Sascha Aurich: Qualität ist das A und O. Saubere, fundierte Recherche ist die Grundvoraussetzung. Wir dürfen den Lesern nichts liefern, was sich als Luftblase entpuppt. Darüber hinaus ist es wichtig, sich im Digitalen zuhause zu fühlen. Eine scharfe Trennung zwischen dem Internet und der vermeintlich normalen Welt gibt es nicht mehr. Soziale Netzwerke kennen und beherrschen, mit den Endgeräten umgehen können, mit denen fast alle Menschen außerhalb einer Redaktion ganz selbstverständlich hantieren - das gehört dazu. Nur dann sind wir auf Augenhöhe mit unseren Nutzern. Und nur wenn wir uns sichtbar machen, werden wir auch gesehen.